Pressemitteilung
Rede bei der Veranstaltung „Menschenrechte = unantastbar“ der Aktion Courage Erlangen
Rede von Leif Grahn, Kandidat zur Landtagswahl, am 11.10.2018 in Heroldsberg
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Auf einer Gegendemonstration gegen eine zeitgleich stattfindende Veranstaltung zu sprechen, widerstrebt mir eigentlich. Drinnen sitzt gleich die AfD in Ihrer Blase und hier draußen wir in unserer. Dabei wäre es so dringend nötig, dass wir als Menschen miteinander ins Gespräch kommen über unsere Bedürfnisse, Ängste und Wünsche. Denn auch da drinnen treffen sich Menschen wie wir, Menschen mit ihren Träumen, Sehnsüchten und Hoffnungen, mit ihren Ängsten, ihrem verletzten Stolz und ihrer Wut. Und ich wünsche mir sehr, dass wir viele der Menschen, die jetzt AfD wählen oder sogar Mitglieder in der Partei sind, wiedergewinnen können zur verantwortlichen Mitgestaltung unseres demokratischen Gemeinwesens. Denn sicherlich haben sie uns etwas Wichtiges zu sagen.
Ich kann auch die Unzufriedenheit und Wut von Menschen über unsere Welt, wie sie ist, nachempfinden. Unsere Welt ist alles andere als das Paradies. Da gibt es vieles, was zum Himmel schreit. Ich erlaube mir auch, ein paar Beispiele aufzuzählen: Die tödlichen Waffenexporte in kriegsführende und menschenrechtsverletzende Staaten, den unwürdigen Umgang mit Tieren in der industriellen Massentierhaltung, die Missachtung von Menschenwürde in der globalen Wirtschaft, die Herzlosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen, die Abhängigkeit der Politik von Konzernen und Banken, ein Wirtschaftssystem, das Geldvermehrung als Selbstzweck betrachtet, das Festhalten an einer zerstörerischen Wachstumsideologie, die Untätigkeit angesichts des Klimawandels, die Zunahme sozialer Ungleichheit und die Verharmlosung der Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung, die u.a. mit einem Empathieverlust und einer Radikalisierung einhergeht.
Und es ist richtig, dass das alles nicht alternativlos ist. Es gibt bereits jede Menge guter Ideen und Lösungsansätze. Es gibt demokratische Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Petitionen und Volksbegehren. Wer möchte kann sich engagieren. Die Partei, die sich „Alternative“ nennt, hat sich aus dem Diskurs über Lösungen allerdings längst verabschiedet. Ihre Alternative ist der Umsturz in ein autoritäres und nationalistisches System. Die AfD kann längst nicht mehr als demokratische Alternative angesehen werden.
Noch nicht wissend, dass ich heute hier sprechen werde, hat es sich so gefügt, dass ich vorgestern während weniger Stunden ein Buch gelesen habe, dass ich nur wärmstens zur Lektüre und Verbreitung empfehlen kann: Franziska Schreiber, Inside AfD – Der Bericht einer Aussteigerin. Franziska Schreiber war Vorsitzende der JA („Jungen Alternative“) Sachsen, Pressesprecherin und Mitglied des Bundesvorstandes. Sie weiß also, wovon sie redet. Und so meine ich, dass ich heute etwas Substantielles beizutragen habe.
2013 bei ihrer Gründung habe ich sie für eine konservative demokratische Partei gehalten. Und damals war sie das wohl mehrheitlich auch noch. Und wer sich allein am verschrifteten Parteiprogramm orientiert, wird vielleicht irrtümlich annehmen, sie sei es heute auch noch. Franziska Schreiber zeigt nun aber sehr deutlich auf, wie sich die AfD zunehmend radikalisiert hat. Auch ihre eigene Radikalisierung ging damit einher. Der Einfluss vom sogenannten Flügel um Björn Höcke, Andre Poggenburg u.a. ist über die Jahre gestiegen. Ich zitiere aus dem Schlusskapitel: „Heute besteht die AfD schon aus 15 Prozent Rechtsextremen, 20 Prozent Nationalromantischen mit Kaiserreichsaffinität und 15 Prozent Mitläufern; dem steht ein gebeuteltes, zerstrittenes liberales Lager ohne charismatische Führung und Strukturen gegenüber. Wer soll die Rechten aufhalten?“ Da sind nicht wenige Menschen aus der sog. „Identitären Bewegung“ der NPD, der ebenfalls rechtsextremen Partei „Die Freiheit“, von Pegida, vom Compact-Magazin etc. Auch Menschen, die durch verbale oder gar körperliche Gewalt aufgefallen sind. Und diese sitzen bereits als Abgeordnete oder Mitarbeiter im Deutschen Bundestag und den Landtagen.
Vor 100 Jahren ist der erste Weltkrieg als Krieg europäischer Nationalismen zu Ende gegangen. Die Bilanz: 17 Millionen Tote, 20 Millionen körperlich Verwundete. Ungezählte seelische Traumata. Vor 85 Jahren kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Mit Ihnen begann erst die systematische Entrechtung und Verfolgung, schließlich die planmäßige Ermordung von 6 Millionen europäischer Juden, dazu die Verfolgung von Sinti und Roma, Homosexuellen, Sozialdemokraten und Kommunisten, Christen und allen, die sich Ihnen widersetzten. Am Ende stand wieder ein mörderischer Krieg, diesmal mit etwa 80 Millionen Toten und weit mehr Menschen, die körperlich verletzt oder seelisch traumatisiert wurden. Traumata, die bis heute nicht angemessen gewürdigt geschweige denn verarbeitet worden sind.
Das ist eine Entwicklung, wie sie eigentlich kein Mensch sich wünschen kann. Ich habe eine Tochter, und ich möchte, dass meine Tochter in diesem Land noch in Frieden und Freiheit aufwächst. Auch deshalb rede ich hier. Wer jetzt noch AfD wählt, wählt keinen legitimen Protest gegen eine korrupte Elite. Wer jetzt noch AfD wählt, der rüttelt an den Grundfesten unserer abendländischen Zivilisation. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Ich zitiere ich noch einmal Franziska Schreiber: „Die Wähler der AfD unterschätzen deren rechtsextreme Absichten. Wir müssen die richtigen Antworten auf diesen Bedrohung finden.“
Die richtigen Antworten zu finden ist nicht leicht. Falsch ist jedenfalls, sich in Wort und Tat der AfD im Inhalt anzupassen. Das genau will nämlich Gauland und sagt das auch offen. In diese Falle sind leider u.a. die Herren Seehofer, Dobrindt und Scheuer getappt, zum Schaden nicht nur ihrer Partei, sondern auch zum Schaden der politischen Stimmung in diesem Land. Falsch wäre es m.E. aber auch, sich im Verhalten anzupassen, wie das manche Menschen tun, die sich Antifaschisten nennen. Das würde dann zu einer Art Anti-AfD-Hetze führen. Straßenschlachten zwischen Rechts- und Linksextremen wie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wünsche ich mir nicht. Vielmehr ist mir wichtig, das wir jedem Menschen mit Achtung begegnen, besonders auch AfD-Wählern und Mitgliedern. Dazu gehört das permanente Bewusstsein der Unterscheidung von Person und Tat. An die Medien richte ich den Appell, nicht auf jede AfD-Provokation mit einer Empörungswelle zu reagieren. Was wir dagegen brauchen ist Aufklärung. Aufklärung in Schule und Universität, in Gewerkschaften und Kirchengemeinden, in Zeitungen und Rundfunkbeiträgen. Und noch einen Vorschlag habe ich. Niemand kann Jugendliche authentischer vor dem Drogenkonsum warnen, als ein Ex-Junkie, der selbst durch die ganze Scheiße gegangen ist. Niemand kann authentischer vor der AfD warnen als ein AfD-Aussteiger. Darum: Laden wir doch mal AfD-Aussteiger zu uns ein.
Ich danke Ihnen.